Nachhaltiger Konsum als Thema non-formaler Bildungsveranstaltungen für Erwachsene: Eine qualitative Analyse zu selbstberichtetem Lernen von Teilnehmenden konsumkritischer Stadtführungen

Autor: Branzka, Lina-Katya
Jahr: 2017

Masterarbeit, Fachbereich Erziehungs- und Bildungswissenschaft, 165 Seiten, dt.

Zusammenfassung:

Die vorliegende Abschlussarbeit zur Bildung für eine nachhaltige Entwicklung fragt, wie das Thema nachhaltiger Konsum an die Zielgruppe Erwachsene in der außerschulischen Bildung vermittelt wird und was Erwachsene nach ihrer Einschätzung für eine nachhaltige Alltagspraxis lernen. Die Relevanz dieser Fragestellung manifestiert sich in den beiden Sustainable Development Goals vier (Hochwertige Bildung) und zwölf (Nachhaltige/r Konsum und Produktion) und in dem daraus abgeleiteten Programm der Bundesrepublik über einem nachhaltigen Konsum, das die Zielgruppe Erwachsene in der außerschulischen Bildung als wesentliches Aufgabenfeld für die nationale Nachhaltigkeitsstrategie benennt. In der Bildungsforschung zeigt sich zu dieser thematischen Schnittmenge ein Forschungsdesiderat, worauf die Arbeit mit einer qualitativen empirischen Untersuchung reagiert und erwachsene Veranstaltungsteilnehmende zu ihren Lernprozessen befragt. Im Fokus dieser Untersuchung steht das Veranstaltungsformat „konsumkritische Stadtführung“, das zwar in der Praxis vielseitig erprobt ist, zu dem aber kaum empirische oder theoretische Erkenntnisse vorliegen. Mit der Forschungsfrage, was Erwachsene nach ihrer Einschätzung zu einem nachhaltigen Konsum in konsumkritischen Stadtführungen lernen, liefert diese Arbeit somit einen näheren Einblick in das Lernen Erwachsener im Rahmen des wenig erforschten Veranstaltungsformats.
Der theoretische Zugang zu dieser Fragestellung wird im zweiten Kapitel der Arbeit fokussiert, in dem Bildungskonzepte und Ansätze zu der Schnittmenge und dem Format vorgestellt und in dem derzeitigen Forschungsdiskurs verortet werden. Behandelt werden die Nachhaltigkeitskonzepte Bildung für eine nachhaltige Entwicklung und Globales Lernen und die spezifischen Ansätze „BINK“ (Bildungsinstitutionen für nachhaltigen Konsum, Leuphana- Universität 2013) und „CEA“ (Consumer Education for Adults, EU- Sokratesprogramm 2006), die vor Hintergrund der ökonomischen Erwachsenenbildung diskutiert werden. Den Kontext der Konzepterörterung bilden in diesem Kapitel bildungspolitische Ansätze der Verantwortungsübernahme durch den Verbraucher und Lernformen in der non-formalen Erwachsenenbildung, worin das Format eingebettet wird.

Nach dieser Erörterung folgt im dritten Kapitel die Vorstellung des Erhebungsgegenstands dieser Arbeit, einer konsumkritischen Stadtführung in Bayern, die von einer entwicklungspolitischen Nichtregierungsorganisation durchgeführt wurde. Beschrieben werden darin der Umfang und der Ablauf der Veranstaltung, womit dieses wenig erforschte Praxisformat transparent gemacht wird. Im vierten Kapitel wird das gewählte Forschungsdesign begründet dargelegt und zunächst das Sample der Studie vorgestellt. Das Datenmaterial wurde durch die Einzelbefragung von fünf Teilnehmenden der konsumkritischen Stadtführung erhoben. Gearbeitet wurde dabei mit einem erzählgenerierenden Fragebogen mit einer offenen Leitfragenstruktur, die eine Vergleichbarkeit der Interviews gewährleistet. Die Fragen orientierten sich an den Erkenntnissen des aktuellen Forschungsstandes. Rückblickend wurden die Teilnehmenden in den Einzelinterviews befragt, was sie unter einem nachhalten Konsum verstehen, welche Inhalte sie in dem besonderen Veranstaltungsformat spannend empfanden und was sie nach ihrer Einschätzung für ihre eigene Konsumpraxis mitnehmen. Die Dauer der Interviews erstreckte sich über durchschnittlich 45 Minuten. Mithilfe der inhaltsanalytischen Methode wurden drei der fünf Interviews ausführlich ausgewertet und die subjektiven Sichtweisen der Befragten in einem Kategoriensystem systematisiert. Die weiteren zwei Interviews wurden zur Validierung des Kategoriensystems genutzt. Die gebildeten Kategorien wurden zudem in einer Forschergruppe diskutiert und damit intersubjektiv überprüft.

Im fünften Kapitel werden die Ergebnisse über die Darstellung des erarbeiteten Kategoriensystems beschrieben. Insgesamt wurden aus den drei Befragungen drei Hauptkategorien und acht Unterkategorien über die Lernergebnisse gebildet. Diesen Hauptkategorien zu Folge ist es das Ergebnis der Studie, dass die Lernenden Handlungsintentionen für das eigene Konsumverhalten reflektiert, Kenntnisse über die Auswirkungen konventionellen Konsums erworben und den eigenen Lebensstil durch die Teilnahme an der Veranstaltung bewertet haben. Hinsichtlich der Reflexion der eigenen Handlungsoptionen zeigt sich, dass die Befragten durch die Veranstaltung Impulse erhalten haben, einen nachhaltigen Konsumstil in der Alltagspraxis zu steigern, dass sie sich besser in die Lage versetzt fühlen, Konsumgelegenheiten zu beurteilen und dass sie nachhaltige Konsumoptionen für Alltagshandlungen reflektiert haben. Im Hinblick auf die Kenntnisse über die Auswirkungen des konventionellen Konsums zeigt sich, dass diese „zurechtgerückt“ wurden und ergänzt und erweitert wurden. Hinsichtlich der Reflexion des eigenen Lebensstils wird im empirischen Material deutlich, dass ein nachhaltiger Konsumstil hinsichtlich der Möglichkeiten und Grenzen in der Alltagspraxis
reflektiert und das alltägliche Konsumverhalten mit nachhaltigen Möglichkeiten in ein Verhältnis gesetzt wird. In diesen Verhältnissetzungen werden sowohl personalisierte als auch generalisierende Aussagen im Datenmaterial sichtbar. Diese Ausprägungen unterscheiden sich dahingehend, dass sich die Befragten mit den jeweiligen Aspekten nachhaltigen Konsums entweder selbst ins Verhältnis setzten (personalisiert) oder die genannten Aspekte auf einen allgemeingesellschaftlichen Kontext bezogen (generalisiert). In der Zusammenschau der Ergebnisse wird deutlich, dass die Angaben der Befragten zu dem, was sie in der konsumkritischen Stadtführung zu den ermittelten Teilbereichen nachhaltigen Konsums gelernt haben, direkt mit der Art und Weise, wie sie sich damit
auseinandergesetzt haben, zusammenhängen. Zudem legen die Studienergebnisse nahe, dass nicht nur Kenntnisse in Form einzelner neuer Details dazu gewonnen wurden, sondern dass mittels Reflexionen, Bewertungen und Bezugnahmen auf die Handlungsebene auch Verknüpfungen der Inhalte mit der Lebenswelt der Befragten stattfanden.

Im sechsten Kapitel werden diese Ergebnisse theoretisch diskutiert. Die empirisch herausgearbeiteten Reflexionsprozesse und Verhältnissetzungen verweisen auf die Komplexität des Lerngegenstandes „nachhaltiger Konsum“. In diesem Zusammenhang werden die Ergebnisse vor dem Hintergrund theoretischer Reflexionen zur „Komplexitätsbewältigung“ (Asbrand 2014) interpretiert. Diese Komplexitätsbewältigung zeigt sich im Material durch unterschiedliche Strategien, die von der Bildung neuer Entscheidungskriterien im Konsumverhalten bis hin zur Spezialisierung auf vereinzelte Konsumbereiche (und die Ausblendung anderer) reichen. Als gemeinsames Element der Strategien lässt sich eine selbstreflexive Verortung und der strategische Umgang des Einzelnen im Kontext
sozialer, ökologischer und ökonomischer Einflüsse erörtern. Schließlich konnte in der theoretischen Interpretation der Ergebnisse vor dem Hintergrund konstruktivistischer Lerntheorien herausgearbeitet werden, dass insbesondere die Initiierung von Perspektivwechseln in konsumkritischen Stadtführungen einen zentralen didaktischen Mehrwert darstellt.

Im siebten Kapitel werden Anschlusspunkte für weiterführende Forschung zu dem Format im Kontext des Globalen Lernens und der Bildung für eine nachhaltige Entwicklung darlegt und konkrete Ableitungen für die Formatpraxis mit der Zielgruppe Erwachsener getroffen.